Samko Tále - Schriftsteller, wenn es regnet
Schriftsteller, wenn es regnet
Zdenka Becker
Die Presse, 10. 6. 2011
Abgründig: Samko Táles slowakischer Forrest Gump.
Samko Tále, der auf seine Gesundheit achten muss, weil er eine Invalidenrente bezieht - und wer eine Invalidenrente bezieht, muss gesund bleiben -, ist ein Original. Seine Krankheit hat einen Namen, den er nicht kennt, was er aber mit Sicherheit weiß, ist, dass er sich nicht zu rasieren braucht und nicht mehr wachsen wird. Er ist 152 Zentimeter groß und nach eigenen Angaben sehr schlau. Der Ich-Erzähler in Daniela Kapitáňovás Buch ist ein geistig zurückgebliebener Mann, ein stinkender Altpapiersammler, einer der viel redet und die Dinge auf den Punkt bringt: „Ich hab viel Intelligenz, obwohl man das gar nicht braucht, denn wir sind hier in der Slowakei.”
Gusto Rúhe, einer aus dem Ort, „der sich von Alkohol ernährt”, prophezeite Samko, dass er ein Buch über den Friedhof schreiben wird, und dieser macht sich mit kindlicher Naivität gleich ans Werk. Er reflektiert die Ereignisse, die rund um ihn passieren, von einem Tag auf den anderen ist er ein Schriftsteller, „am liebsten dann, wenn es regnet”. Aber „Schriftsteller zu sein ist deshalb sehr schwer, weil davon die Hand wehtut”. Er schreibt über den dummen Krkan von der Sammelstelle, die alte Jungfer, die „hässlich war und ungenügende Brüste hatte”, einen Mann, der „bei uns gestorben ist, ohne dass er krank war”, Doktoren, die nervös sind, wenn man ihnen etwas verraten will, und über einen Mann, der mit aufgeknöpfter Hose beerdigt werden wollte.
Zurück nach Zigeunesien
Im Unterschied zu Forrest Gump, mit dem Samko Tále in den slowakischen Rezensionen verglichen worden ist, kann der Held aus Komárno, einer Grenzstadt zu Ungarn, Schlecht von Gut nicht unterscheiden. Vielmehr ist er ein Sprachrohr der nationalistisch denkenden Bevölkerungsschicht, die alles Fremde und Andersartige ablehnt. „Ich will nicht, dass es Zigeuner auf der Welt gibt, sollen sie doch weggehen, zum Beispiel dahin, wo sie hergekommen sind, nach Zigeunesien.” Er hasst die Ungarn und gleichzeitig schämt er sich, weil seine Großmutter eine Ungarin war und deutsche Bücher las und „Schwuchteln hasst ein jeder. Wieso gibt es überhaupt schwule Schwuchteln, wenn man so etwas nicht macht”, und er sinniert weiter, „da lässt sich heute leider nichts mehr machen, denn jetzt ist Demokratie”.
Samkos Erzählweise entspricht seinem beschränkten Intellekt, die Sätze sind abgehackt und oft erst nach wiederholter Lektüre verständlich. Man findet verdrehte Fremdwörter und Ausdrücke - und doch ergibt die ganze Geschichte einen Sinn. Der Balanceakt zwischen Tragödie und Komik gelingt, die Schicksale der Säufer, Irren, Versager, Pechvögel, Diebe und Selbstmörder ziehen den Leser in ihren Bann und verursachen Schmunzeln, mitunter lautes Lachen. Denn Komárno ist überall, genauso wie Menschen, die alles Gehörte unreflektiert nachplappern und sich damit lächerlich machen.
„Buch über den Friedhof”, Kapitáňovás Debüt aus dem Jahr 2000, brachte es in der Slowakei auf vier Auflagen. 2010 kam die Novelle in der englischen Übersetzung von Julia Sherwood im Garnett-Press-Verlag in Großbritannien heraus. Abgründig, witzig, absolut lesenswert.
Zdenka Becker
Die Presse, 10. 6. 2011