Eine gelungene Satire auf den slowakischen Nationalismus
Eine gelungene Satire auf den slowakischen Nationalismus
Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung
Kapitáňova imitiert meisterhaft die abstruse Sprachlogik ihres Helden und verwandelt so den einfachsten Sachverhalt in ein abenteuerliches Staccato. Samko Tále ist aber nicht nur Slowake, er ist überall: Das gedankenlose Wiederholen von ideologischen Versatzstücken gehört zu den Grundprinzipien jedes Nationalismus und beschränkt sich nicht nur auf das Grenzgebiet zwischen der Slowakei und Ungarn.
Samko Tále: Buch über den Friedhof. Aus dem Slowakischen übersetzt von Ines Sebesta. Wieser-Verlag, Klagenfurt 2010. 196 S
Mit den Augen eines Zehnjährigen
Eine gelungene Satire auf den slowakischen Nationalismus
Ulrich M. Schmid ? Die Journalistin und Schriftstellerin Daniela Kapitáňova (geb. 1956) hat sich ein ausgefallenes literarisches Alter Ego ausgedacht: den kleinwüchsigen, geistig zurückgebliebenen Altpappensammler Samko Tále aus der slowakischen Grenzstadt Komárno. Samko liebt seine Stadt und zieht über «Fremde» her - also vor allem Juden, Ungarn und Tschechen. Dass er manchmal selber zum Gespött der Stadtbürger wird, findet er hingegen weniger lustig.
Das «Buch über den Friedhof» ist seine eigene literarische Schöpfung und besteht eigentlich aus zwei «Büchern»: Am Anfang steht ein kurzer Text von einer halben Seite, der mit kindlicher Naivität erklärt: «Der Friedhof hat zwei Tore. Durch das eine kommen die Leute, durch das andere die Leichen. Leichen sind tote Leute, die gestorben sind.» Dann folgt der eigentliche Roman, der allerdings nichts mehr mit dem Friedhof zu tun hat, aber trotzdem «Zweites Buch über den Friedhof» heisst. Samko setzt darin zu einer langen Suada über Bekannte und Freunde an, die ihre prekäre Existenz in Alkohol ertränken oder durch erotische Eskapaden erträglich machen.
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Samko Táles Bericht wird nur durch Assoziationen lose zusammengehalten und spiegelt das infantile Bewusstsein des Erzählers. Dieses ausgefallene Kompositionsprinzip macht den Reiz von Kapitáňovas Text aus: Weil Samko Tále sehr beeinflussbar ist und die nationalistischen Parolen seiner Umgebung unkritisch wiederholt, stellt er nicht einfach einen pathologischen Einzelfall dar, sondern wird zum satirischen Zerrbild der slowakischen Gesellschaft. Gerade die groteske Überzeichnung des Ich-Erzählers macht ihn indes zu einer sympathischen Figur: Samko Tále erklärt seinen Lesern den sozialen Mikrokosmos der Stadt Komárno, ohne ihn selbst zu verstehen. Er ist kein Täter, sondern ein Opfer, das aber seine eigene Blindheit gar nicht erkennt.
Kapitáňova imitiert meisterhaft die abstruse Sprachlogik ihres Helden und verwandelt so den einfachsten Sachverhalt in ein abenteuerliches Staccato. Samko Tále ist aber nicht nur Slowake, er ist überall: Das gedankenlose Wiederholen von ideologischen Versatzstücken gehört zu den Grundprinzipien jedes Nationalismus und beschränkt sich nicht nur auf das Grenzgebiet zwischen der Slowakei und Ungarn.